Bettina Khano

Annika Reich

Verdichtete Transparenz

Bettina Khanos Räume sind dazwischen. Es sind (un)mögliche Räume, die man
der Wirklichkeit wünscht, damit diese endlich aufhören kann, sich ein Bild von sich
selbst machen zu müssen. Khanos Bilder, Installationen und Videos knittern, falten
und wischen unsere Blicke weg, sie trüben die Spiegel und verflüchtigen sich in
die Atmosphäre hinein, bis sie fast in ihr aufgehen und nur noch als Spuren wahr-
nehmbar sind. Es bedarf der Raumfühlung, um ihnen nachzuspüren; es bedarf
eines Körperdenkens, das der Einbildungskraft folgt. Doch dieses Körperdenken
beugt sich nicht über die Welt, um sie überblickend zu behaupten – wie es Ver-
nunft, Sinn und Verstand so meisterlich beherrschen –, sondern riskiert seinen
Kopf, um sich für das Andere offen zu halten.

Ihre Körper halten sich offen, indem sie ihre eigenen Grenzen mit in den Raum
nehmen, ganz ohne Anstrengung, schwebend eher – ereignishaft, ohne auf einen
Boden zu gelangen, von dem aus ein bestimmter Sinn begründet werden könnte.
Somatolyse (2005). Räume und Körper entfalten sich in einem Dazwischen, das
sich nicht von einem bestimmten Pol zu einem anderen aufspannen lässt. Es kennt
keinen Anfang und kein Ende. Galaxie (2006).

Grenzen lassen sich nicht übergehen. Wenn man sie überschreiten will, muss man
sie umstülpen. Und so zeigen Khanos Raumkörper und Körperräume keine trüge-
rische Grenzenlosigkeit, sondern unterschiedliche Stadien des Grenzumstülpens
–vom Raum in den Körper, vom Körper in den Raum und in den Zwischenräumen–,
die sich innerhalb der umgestülpten Grenzen eröffnen. Im Verschwinden. In der
Falte. Im Horizont.

Es gibt Körperräume im Inneren des Horizonts, auch wenn sie kein Volumen besit-
zen, sondern eher in Erfahrungen der Nähe und Ferne zu begreifen sind. Erstrec-
kungen, die nach dem Muster des Möbiusbandes eine unlösbare Schleife in den
Verstand binden: unorientierbar wie sie sind, ohne Möglichkeit zwischen innen und
außen, oben und unten zu unterscheiden. Kein Sinn also, aber dafür distanzierte
Parteinahme für die Nahsinne im Kosmos und im Beharren auf dem Wissen, »dass
der Körper bis in die Sterne reicht«, dass er »Spiegel und Modell des Kosmos« ist.

Basaltstaub (2011) mitten in die umgestülpte »Himmel-Erde« gestreut, als gäbe
es keine Trennlinie zwischen Himmel und Erde. Das Entziehen weiß gefärbt. Mehr
Umschlagort als der Horizont lässt sich nicht denken.

The Sky Is the Limit (2010) vernebelt solange die Bodenhaftung, bis wir zu Schlaf-
wandlern werden und ahnen: eben nicht. Wir setzen nur Grenzen, wenn wir nicht
mehr weiter wissen. Bettina Khanos Arbeiten wissen weiter weg.

Wie? Aus dem Pavillon nebelt es heraus. Innen findet man sich wieder, so wie man
sich nicht kennt. Der eigene Arm, tastend in den Raum geschickt, könnte ewig lang
sein. So ganz sicher ist man sich da nicht. Vielleicht ist er’s nicht. Implosion (2003)
Es kommt auf die Verdichtung an, um das Unsichtbare sichtbar zu machen. Liter-
weise Nebelfluid, kiloweise Leichtigkeit.

Der Körper muss von der Bildfläche verschwinden, sich in die Zwischenräume
erstrecken, um seine lebendige Kraft zu bewahren. Die Haut ist ein durchlässiges
Organ, es liegt also alles daran, sich nicht für eine Seite zu entscheiden, leiden-
schaftlich unentschieden zu bleiben und dabei zu verschwinden. Immer wieder.

Lichtung (2011). Mattspray auf Aluminium. Warum kriegt es mich, wenn es mich
nicht zeigen will? Der Blinde Fleck (2001) ist der Punkt, von dem aus ich sehe, den
ich aber gerade deshalb nicht sehen kann. Er ist im Inneren außen. Das Möbius-
band. So sehe ich nicht aus. Ich bin ein Weltraum, den ich nicht erkennen kann.
Du auch.

Wenn die Spiegel nicht mehr mitspielen, weil sie sich mit dem Nebel verbünden,
dann wird’s klar: hier zeigt sich nichts. Und dann? Fuzzy-Logik. Ästhetik des
Unscharfen, Verschwommenen, Uneindeutigen, die das Entweder-oder in ein
Oxymoron verwandelt, in dem es sich (er)schöpfen kann.

Eine Wolke (2010) dampft aus einem großen, alten Baum, steht zwischen hier und
dort und verzieht sich wieder. Manchmal hat sie es eiliger. Aber so oder so:
»pppffffffff…« Sie schwebt auf der Grenze zwischen Gestalt und Gestaltlosigkeit.
Sie lässt sich nicht auf ihr eigenes Bild ein. Kommt man ihr damit, ist sie bereits
eine andere. Von Anfang an Verschwinden. Ein seltsames »Halbdings«.

Die Bilder fliehen von der Bildfläche, um sich in den Raum zu öffnen. Und der ein-
zige Kompass, der dem Magnetismus der verschwindenden Pole gewachsen ist, ist
die Antischwerkraft des Körpers, die Himmel und Erde verbindet.

1 Dietmar Kamper, Horizontwechsel. Die Sonne neu jeden Tag, nichts Neues unter der Sonne, aber,…,
München 2001, S. 61.

 


 

Condensed Transparence

Bettina Khano’s spaces are in between. They are (im)possible spaces that one wishes existed in the real world, so that reality would finally be able to stop having to create images of itself. Khano’s paintings, installations, and videos crinkle, fold, and wipe away our sight; they cloud the mirror, evaporating into the atmosphere until, in the process of vanishing, they are almost only perceptible as traces. To sense them, one needs a sense of space; one needs to think with the body as it follows the imagination. Yet, this way of thinking with the body does not diffract itself across the world in order to assertively survey everything—something that reason, sense, and mind do so masterfully. Instead, it risks its head in order to stay open to the Other.

Bettina Khano’s bodies stay open by taking their own limitations into the space without any effort at all—hovering, eventfully, without touching the floor, which might give it a determinative meaning. Somatolyse (2005). Spaces and bodies unfold in an in-between state that cannot be stretched from one particular pole to another. It knows no beginning and no end. Galaxie (2006).

Boundaries cannot be transgressed. If one wants to cross them, one must turn them inside out. And thus, Khano’s three-dimensional bodies and spaces do not feature any sort of deceptive limitlessness, but rather, different states in the process of turning boundaries inside out—from the space to the body, from the body to the space and the interim spaces, which open up inside the inverted boundaries. Vanishing. In the folds. In the horizon.

There are physical spaces within the horizon, even if they have no volume, but they are more comprehensible through the experiences of proximity and distance. Expanses that tie an intractable loop, patterned after the Möbius strip, into the mind: as directionless as they are, lacking the possibility of distinguishing between interior and exterior, up and down. No meaning, therefore, but instead a kind of distant partisanship on behalf of the senses in the universe, insisting on the knowledge “that the body extends to the stars,” that it is the “mirror and model of the cosmos.”

Basalt Dust (2011) scattered about in the midst of the inverted “heaven-earth,” as if there were no line dividing sky and earth. The withdrawal colored white. It’s impossible to imagine a point of more exchange than the horizon.

The Sky Is the Limit (2010) obscures our grip on reality until we become sleepwalkers and suspect: precisely not. We only set limitations when we no longer know any more. Khano’s works know a further (a)way.

How? Fog comes out of the pavilion. Inside, one finds oneself again, but without recognizing oneself. One’s arm, sent out carefully to feel around the space, might stretch out forever. One is not entirely sure there. Perhaps it is—not. Implosion (2003). Making the invisible visible depends on the condensation. Liters of fog fluid, kilos of weightlessness.

The body has to vanish from visual two-dimensionality, stretch out into the in-between spaces, in order to maintain its vitality. The skin is a permeable organ, so it means everything not to choose a side, to remain passionately undecided and disappear in the process. Again and again.

Clearing (2011). Matte spray paint on aluminum. Why does it get me, when it doesn’t want to show me? The Blinde Fleck (Blind Spot, 2001) is the point from which I see, but which I cannot see precisely because of that. In the interior, it is outside. The Möbius strip. I don’t look like that. I am a universe that I cannot recognize. You, too.

When the mirror no longer plays along, because it is bound to the fog, then it becomes clear: here, nothing is shown. And then? Fuzzy logic. Aesthetics of the diffuse, blurred, ambiguous, transforming the either-or into an oxymoron, in which it can (re)create itself.

A Cloud (2010) puffs up out of a big, old tree; exists between here and there, and then disperses again. Sometimes, it’s in more of a hurry. But one way or another: “pppfffffff . . .” It hovers on the border between form and formlessness. It does not get mixed up with its own image. If you come to it with it, it’s already something else. Disappearing from the start. An odd “semi-thing.”

Bettina Khano’s pictures escape the second dimension in order to open up into space. And the only compass that can cope with the magnetism of the vanishing poles is the antigravity of the body, which connects the sky and the earth.

1 Dietmar Kamper, Horizontwechsel. Die Sonne neu jeden Tag, nichts Neues unter der Sonne, aber,…,
Munich 2001, p. 61.